Michael Höh, 37, Berlin, Selbstständiger: “Pirmasens ist wirtschaftlich auf dem absteigenden Ast. Es gibt kaum junge Unternehmer, die sich trauen, etwas auf die Beine zu stellen. Und den wenigen, die es doch versuchen, behindert die Stadt. Zwei Künstler haben Projekte geschaffen, die mehr Leben bringen sollten. “Pirmasens – eine Stadt zeigt Herz” und die Galerie Kunst Genuss in der Fußgängerzone. Aber die Stadtverwaltung legt ihnen Steine in den Weg. Das ist schade. Ich bin 2009 nach Berlin gezogen, weil ich sonst arbeitslos geworden wäre. Seit 2015 bin ich selbstständig und habe ein Unternehmen mit zwei Angestellten. Rein perspektivisch war es also die richtige Entscheidung. Aber ich vermisse Pirmasens sehr. Es ist und bleibt meine Heimat, meine Freunde sind noch immer dort. Ich war Fußball-Schiedsrichter, das habe ich mit großer Leidenschaft gemacht. Im Wald spazieren gehen, sich in der Natur austoben, das fehlt schon alles. Wenn ich könnte, würde ich mein Unternehmen sofort nach Pirmasens verlegen. Das würde ohne Probleme gehen. Aber die Infrastruktur ist einfach zu schlecht, vor allem die Verkehrsanbindung und das Internet.”

 

Julian Steckel, 35, Berlin, Cellist: „Mit 15 Jahren nahm ich das erste Mal an Meisterkursen in klassischer Musik teil und traf dort Musiker aus Australien, China und den USA. Es kam mir vor, als wären wir Verrückte, die alle die gleiche Leidenschaft haben. Ich fand Freunde mit den unterschiedlichsten Horizonten. Die Weltoffenheit und Internationalität hat mich wahnsinnig gereizt. Wieder zurück in Pirmasens, war mir meine nette, normale Schule nicht mehr genug. Ich wollte am liebsten in New York studieren und hätte fast die Schule abgebrochen. Die Jugendphase ging vorbei, ich zog nur nach Saarbrücken. Heute wohne ich in Berlin-Neukölln. Hier ist es laut, schnell und international. In der Hauptstadt trifft sich die Musikwelt. Als Cellist arbeite ich, was ich liebe. Dafür muss ich schnell ins Ausland fliegen können. In Pirmasens geht das leider nicht. Trotzdem vermisse ich die Ruhe unseres Gartens in der Heimat. Ich denke gerne zurück an meine Kindheit, an unser Schul-Streichquartett, das „Kant-Quartett“, oder an meine Nachbarn. Es kann sein, dass mich die Ruhe wieder in die Pfalz zieht. Wer weiß, was kommt.“

 

Melissa Faust, 24, Düsseldorf, Studentin: Ich wusste schon vor dem Abitur, dass ich weit weg will. Schauen, ob es woanders wirklich besser ist. Wo mehr los ist als mittwochs Irish Pub und freitags Spirit. Ich zog 450 Kilometer nach Münster in den Norden. Der Kontrast war enorm. Ein reiches Kulturangebot: Kneipen, Kinos, Ausstellungen. Meine Kommilitonen waren in exotischen Ländern. Exotisch an mir war mein Akzent und dass niemand wusste, wo Pirmasens liegt. „Süddeutschland?“ „Nein, bei Kaiserlautern.“ „Im Saarland?“ „Nein, Pfalz!“ Fern der Heimat wurde mir bewusst, dass ich viel versäumt hatte und die Nähe zu Frankreich nicht ausreichend genutzt hatte. Mir fehlte aber auch der Joggergruß im Wald, die kleinen Berge und das Park Pils. Trotz der günstigen Mieten werde ich wohl nie zurückziehen. Jobtechnisch und weil ich die gute Infrastruktur der Großstädte nicht missen will. Es macht mich aber traurig. Die Stadt ist trotz ihrer Eigenheiten liebenswürdig. Wann immer ich kann, bringe ich meinen Freunden Pfälzisch bei oder spiele ihnen „Die anonyme Gitarrischde“ vor: „Annerschwo is anersch un hald ned wie in de Palz“.

 

Sarah Donie, 31, Mannheim, Personalreferentin: “Pirmasens ist eine gute Perspektive für irgendwann in der Zukunft, wenn ich eine Familie habe. Die Häuser sind günstig, es gibt Platz, die Kinder können in einem kleinstädtischen Umfeld groß werden. Im Moment ist das aber noch nichts für mich. Ich möchte das Überangebot haben, das Mannheim mir bietet. Pirmasens hat eine Langsamkeit, eine Dörflichkeit, die ich einfach noch nicht will. Das hat auch seine guten Seiten, du hast Platz, die Wege sind kurz. Entschleunigt eben. Aber auch langsam. Als ich während des Studiums Praktika gesucht habe, wollte ich zu einem größeren Konzern. Da gab es in Pirmasens einfach nichts Passendes. Einige Jahre später habe ich den Job gewechselt und wieder dort gesucht, mit dem gleichen Ergebnis. Viele Firmen sind sehr klein. Mir kommt es so vor, als würden  die Kinder ihrer Mitarbeiter als Nachwuchs rekrutieren. Dabei könnte man viel mehr machen, wenn man Umschulungen anbieten würde oder duale Studiengänge. So würde man Menschen in der Stadt halten, die dort verwurzelt sind und sonst wegziehen oder keine Jobs finden. Ich verstehe nicht, warum Pirmasens es nicht raus aus dem Tief schafft. Landau ging es mal noch schlechter, und jetzt sind sie vorne dran. Man hätte aus der Schuhindustrie ein anderes Aushängeschild machen müssen. Nicht nur ein geschichtliches. Man hätte Schuhe mehr als Lifestyleprodukte vermarkten müssen. Jetzt heißt es immer “Ach, wir waren mal groß.” Das ist der Hinkefuß von Pirmasens.”

 

Jessica Kastrop, 42, Moderatorin bei Sky, München: „Ich glaube, wenn ich woanders groß geworden wäre, wäre vielleicht niemals eine Sportmoderatorin aus mir geworden. Als Kind wollte ich immer Eislaufen. Das ging aber nur in Zweibrücken, da hätte ich ständig gefahren werden müssen. Das war ein Grund dafür, dass ich mich dem Fußball verschrieben habe. Die Region um Pirmasens ist ja auch sehr fußballverrückt, da fiebern alle mit dem 1. FC Kaiserslautern. Ich bin praktisch im Schatten des Betzenbergs aufgewachsen. Wir sind damals am Wochenende noch mit dem Moped hingefahren. Irgendwann stieg der SC Hauenstein, also ein Verein ganz aus der Nähe, in die Regionalliga auf. Das war ein riesen Ding für uns. Auch beim FK Pirmasens gab es große Erfolge, aber das war vor meiner Zeit. Im Nachhinein bin ich ganz dankbar, dass man manche Sachen in Pirmasens einfach nicht machen konnte. Wer weiß, was sonst passiert wäre. Günter Netzer hat mal gesagt: “Der Fußball hat mir alles gegeben.” Das ist bei mir genauso.”

 

Sascha Jochum, 36, Bangkok, Unternehmer: “Was meine Heimatstadt angeht, bin ich gespalten. Für mich ist das Problem, dass ein riesiger Mangel an kulturellen Optionen herrscht. Und damit auch an Lebensqualität. Es gibt keine Programmkinos, keine Auswahl an Clubs, keine interessante Gastronomie. Nur Eisdielen und ein paar Kneipen. Da hat sich in den 16 Jahren, seit ich weggezogen bin, auch nicht viel getan. Dabei bräuchten gerade junge Menschen das. Es gab in Pirmasens immer wieder kreative Leute, für die kein Platz war. Menschen, die ein gutes Auge haben und Potenziale erkennen, ziehen weg. Und die, die noch da sind, sind planlos. Die Optionen, die die Stadt hat, werden liegen gelassen. Die wunderschöne Natur wird zum Beispiel nicht gut genug vermarktet. Ich komme gerne zurück, dann treffe ich Freunde, Familie und gehe Mountainbiken. Das vermisse ich in Bangkok. Und das Essen! Hier gibt es keinen Pfälzer Flammkuchen und keinen Grumbeerebrode. Aber nach drei oder vier Tagen in Pirmasens wird es öde. Es ist schon sehr kleinbürgerlich. Zurückziehen ist für mich keine Option.”