Der Pakt für Pirmasens fördert Kinder aus sozial benachteiligten Familien. Er gilt inzwischen bundesweit als Vorzeigeprojekt.

Am meisten hat sich Yvonne über ihre Brille gefreut. Die 13-Jährige liest gerne und viel wichtiger: sie tut es am liebsten mit ihrer Mutter zusammen. Es ist eine der Sachen, die beide noch gemeinsam tun können. Denn Yvonnes Mutter ist nicht nur alleinerziehend, sondern leidet auch unter Adipositas, also Fettleibigkeit. Sie kann sich nur schwer bewegen, nicht lange stehen. Ihre Wohnung hat sie zuletzt im Sommer 2016 verlassen. Längere Wege zu einem Elternabend, zu Yvonnes Freunden oder in den Supermarkt sind unmöglich. Umso wichtiger ist das gemeinsame Lesen mit Yvonne für die Beziehung der beiden. Umso wichtiger ist Yvonnes Brille.

Gekauft wurde die über Spenden. Seit März 2015 wird Tochter Yvonne durch den Pakt für Pirmasens unterstützt. Im Prinzip bei allem, was jenseits der Wohnungstür stattfindet. 56 Punkte sind protokolliert: Arzttermine, Ferienlager, neue Schuhe. Eine Sozialpädagogin ist stets erreichbar. Yvonne soll ein möglichst normales Leben haben.

1050 Kinder sind derzeit beim Pakt gemeldet. „Er hilft ihnen da, wo der Staat es nicht kann“, sagt Oberbürgermeister Bernhard Matheis, der vor neun Jahren die Idee hatte. Jede Kommune habe demnach Hilfseinrichtungen. Die größte Wirkung haben diese aber, wenn sie angemessen koordiniert werden.

 

In Pirmasens bieten Ehrenamtliche, Vereine und Institutionen ihre Hilfe seither bei einem zentralen Büro an. Dieses vermittelt die Angebote an bedürftige Familien. Wo möglich, organisiert es staatliche Förderungen. Weil die hauptamtlichen Pakt-Mitarbeiter von der Stadt bezahlt werden, fließt alles gespendete Geld unmittelbar in die Projekte. Rund 70 000 Euro waren das im letzten Jahr.

Nur wenige Kinder müssen so viel unterstützt werden wie Yvonne. Ihre sogenannte „Lebenswegbegleitung“ ist grundsätzlich aber für jeden möglich. Denn durch die Zentralisierung aller Hilfeleistungen für ein Kind beim Pakt hat der immer den Überblick: Welches Kind hat wann, was bekommen? Wo wird es künftig Hilfe brauchen, wo nicht? Bis sie 18 sind können die Kinder passgenau Unterstützung bekommen, mal punktuell, mal dauerhaft, so wie Yvonne. Sie musste lernen, ihr Leben alleine zu meistern, weil ihre Mutter nicht vor die Tür gehen kann. Geld abheben, einkaufen, sich gesund ernähren – all das haben Mittarbeiter vom Pakt Yvonne beigebracht.

Eindrücke aus der Kleiderkammer des Pakts: hier werden Sachspenden für die Kinder gesammelt und verteilt.

 

Welche Projekte und Anfragen durch den Pakt finanziert werden, bestimmt ein Förderausschuss. Die Leiterin des Verwaltungsbüros ist seit drei Jahren Sabine Kober. Sie hat eine Datenbank für Transparenz eingerichtet. „Jeder Spender kann genau sehen: Von meinen 20 Euro wurde der Musikunterricht dieses Kindes bezahlt. Das schafft Vertrauen.“

Inzwischen gilt der Pakt für Pirmasens bundesweit als Vorbild. Die Bertelsmann Stiftung hat Stadt und Umland zur Modellregion ihres Projekts „Synergien vor Ort“ gemacht. Oberbürgermeister Matheis und Paktleiterin Kober reisen deshalb viel durch Deutschland und stellen die Idee in anderen Kommunen vor. Man könne sie leicht auf andere sozialpolitische Felder anwenden, sagt Matheis. In Pirmasens passiert das bereits jetzt in der Flüchtlingshilfe.

Der Pakt wird auch in den kleinen Dingen sichtbar, wie Yvonnes neuer Brille. Er steht aber für ein großes Ziel: Jedes Kind soll die gleichen Chancen haben. Für Yvonne geht es darum, dass sie weiterliest, dass sie gute Noten und einen Ausbildungsplatz bekommt, dass sie später nicht auf Hartz IV angewiesen ist. Auf diesem Weg ist die Brille ein Anfang.

 

 

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