„Wo ist das Problem?“
Klaus Scherer war ARD-Korrespondent in Asien und Amerika, aufgewachsen ist er in Pirmasens. Ein Gespräch über seine gebeutelte Heimatstadt
Sie leben schon sehr lange in Hamburg. Welche Beziehung haben Sie noch zu Pirmasens?
Das ist meine Heimat und Heimat gibt es nur einmal. Danach gibt es nur noch Wahlheimaten. Ich bin dort aufgewachsen, zur Schule gegangen und habe meine ersten Zeilen als Journalist geschrieben. In Pirmasens liegen meine Wurzeln, ich bin auch heute noch regelmäßig dort.
Warum sind Sie dann weggegangen?
Mir war die Welt zu klein. Ich habe mit meinen Eltern im Pfälzerwald jede Burg und jeden Felsen erwandert, aber irgendwann wollte ich an eine Uni, wollte reisen und einen Beruf ausüben, der mir Zugang zur Welt bietet. Ich habe erst richtig bemerkt, wie heimatverbunden ich bin, als ich weggegangen war.
Sie sind 1961 geboren, als es der Schuhindustrie noch gut ging. Haben Sie auch eine Schuhvergangenheit?
Mein Vater hat in der Zuliefererindustrie als Modellschreiner gearbeitet. Als Schüler verdiente ich mein erstes Geld in der Schuhfabrik. Da stand ich an der Maschine und habe kleine Lederteilchen auf die gleiche Dicke gehobelt. Das habe ich im Wechsel mit Ferienjobs bei der Park-Brauerei und Kömmerling gemacht. In der Oberstufe bin ich zur Pirmasenser Zeitung, da konnte ich vieles ausprobieren und lernen.
Dann haben Sie erlebt, wie immer mehr Fabriken schließen mussten.
Das Problem mit Pirmasens war wohl, dass es sich so sehr auf die Schuhindustrie konzentriert hat. Für Schulabgänger ohne Ausbildung gab es fast nur die Varianten Schuhe oder Amerikaner, mit Jobs, die dann ein Leben lang gleich blieben. Das war eine Monostruktur, die sich später gerächt hat, weil es keine Alternativen gab.

In den USA haben Sie als Korrespondent auch den dortigen Strukturwandel gesehen. Wie gehen amerikanische Städte damit um?
Wenn Städte wachsen können, können sie auch schrumpfen. Einer meiner ersten USA-Berichte führte mich nach Ohio in eine ehemalige Stahlstadt, die stark von Abwanderung betroffen war. Die Einwohner haben sich irgendwann gesagt, lasst uns nicht jammern, sondern schrumpfen. Die haben die verlassenen Viertel der Stadt stillgelegt, begrünt und neue Parks angelegt. Das war eine Erfolgsgeschichte. Ich habe den Bürgermeister gefragt, woher er die Idee mit dem Schrumpfen hatte und er sagte dann – aus Ost-Deutschland.
In der Berichterstattung gilt Pirmasens oft als Paradebeispiel für eine abgehängte Stadt. Wie konnte so ein Bild entstehen?
Diese Presse-Rankings sind immer fragwürdig. Da gibt es dann Kategorien wie Lebenserwartung und Abwanderung, es liest sich leicht und dann wird über den Letzten abgelacht. Diese Kategorien sind aber nur ein Teil der Wahrheit. Der Pfälzerwald hat eine hohe Lebensqualität, auch in Pirmasens werden Tariflöhne bezahlt. Und beim Bäcker kostet alles weniger als die Hälfte im Vergleich zu Hamburg. Wo ist das Problem? Teil der gefühlten Misere ist da sicherlich auch die beklagte Misere. Vieles ist nicht so schlecht wie manche es machen, die bis heute meinen, zwischen „barfuß oder Lackschuh“ gebe es nichts.
Können Sie sich vorstellen, eines Tages nach Pirmasens zurückzukehren?
Man soll nie nie sagen, aber meine Frau ist ein überzeugter Großstadtmensch. Das spricht mehr für Hamburg. Trotz teurer Brötchen.