388 Kilometer, 14 Stunden, zwei Daumen
Schlechte Anbindung und Bevölkerungsschwund: Für Tramper ist Pirmasens das wohl schwierigste Ziel Deutschlands. Wir haben es trotzdem versucht.
In Godramstein hätten wir beinahe den Glauben verloren. Kurz vor der Auffahrt auf die B10 stehen wir mit unserem Pappschild. Alle paar Minuten blendet uns kurz ein Scheinwerfer, dann zischt das Auto vorbei. Wieder nichts. Wie leicht hatte sich das dahingesagt: Wir trampen von München nach Pirmasens. Einfach Daumen raus und los. Das klang nach Abenteuer per Autostop. Jetzt stehen wir unglamourös in der Dunkelheit der südwest-pfälzischen Provinz.
Sicher, wir wussten, worauf wir uns einlassen: »Zwischen Amsterdam und Triest klafft im europäischen Fernstraßennetz nur eine Lücke – in der Region Westpfalz bei Pirmasens.« Hatten wir gelesen. Und auch, dass Pirmasens in den letzten zehn Jahren 4.000 Einwohner verloren hat. Das sind doppelt schlechte Bedingungen für Tramper: Keiner will da hin, keiner kommt da hin. Was für eine Herausforderung!
Die Reise beginnt bei Minus vier Grad dort, wo der Münchner Stadtverkehr zur Autobahn A8 wird. Hier fahren jede Minute 50 Autos vorbei. Zwei Stunden lang hält kein einziges an. Zugegeben, der Karton mit der »Pirmasens«-Aufschrift ist etwas optimistisch. Auf eine zweite Pappe schreiben wir Stuttgart und Ulm. Es hält trotzdem niemand an. Auf unseren Handys blinken mitleidige Nachrichten der Klassenkameraden auf. Sie haben sich für die einfache Variante entschieden: Nachmittags, Direktverbindung mit dem Fernbus. Manche schlafen gerade noch.

Nach zwei Stunden Frust hält dann doch ein weißer BMW. Für uns? Für uns! Max Wittrock hat einen Geschäftstermin in Ulm. Er ist ein junger Unternehmer mit 650 Mitarbeitern, jung genug, dass er noch weiß, wie hart das Tramperleben sein kann. Kennt so einer Pirmasens? »Klar.« Und, mal da gewesen? »Ich war zwar in vielen ulkigen Städten – aber in Pirmasens noch nicht.« Schade.
Erst einmal in Fahrt, kommen wir unserem Ziel schnell näher. Räumlich, aber auch gedanklich: Die schwäbische Grundschullehrerin, die uns bis nach Stuttgart bringt, kennt nicht nur Pirmasens, sie kennt sogar einen Pirmasenser: ihren alten Mathelehrer. »Jeden Tag fuhr der mit seinem orangenen VW-Porsche vor. Kennzeichen: PS. Das hat uns damals schon ganz schön beeindruckt.« Wenn man Pirmasens hört, könnte man an vieles denken: an eine hohe Arbeitslosenquote, an die geringste Lebenserwartung in Deutschland. An Räumungsverkäufe, leer stehende Schuhfabriken oder an die Schulden, die auf der Stadt lasten. Unsere Fahrerin denkt an einen feschen Sportwagen.
Der Koreanistin, die das Brahms-Konzert ausschaltet, als wir einsteigen, fällt überhaupt nichts zu der Schuhstadt ein. Der Karlsruher Student weiß nicht mal, dass Pirmasens eine Stadt ist. Was ist eigentlich schlimmer: berüchtigt zu sein oder überhaupt nicht wahrgenommen zu werden?

In Karlsruhe halten wir unser Schild in den Feierabendverkehr. Alle wollen nach Hause. Nur wir wollen nach Pirmasens. Dann legt ein Opel eine Vollbremsung hin. Christian nimmt uns mit nach Landau, er trägt Racing-Jacke und Igelfrisur. Hinter seinem Ohr klemmt eine Marlboro. Pirmasens? »Viele Arbeitslose, viele Drogen.« Da ist es, das schlechte Image. Christian war sogar schon öfter in Pirmasens feiern. Bevor er uns rauslässt, empfiehlt er das »Quasimodo«, das »Spirit« und den Puff.
Auf Twitter hat uns eine Frau geschrieben, sie wollte auch einmal nach Pirmasens trampen, strandete aber in Landau. Das darf uns nicht passieren. Nicht jetzt, wo zum ersten mal Autos mit PS-Kennzeichen an uns vorbei fahren. Aber warum nehmen die uns nicht mit? Am Himmel zeigen sich bereits die ersten Sterne. Dunkelheit ist der größte Feind des Trampers. Sie macht uns zu noch zwielichtigeren Gestalten.
Die Twingo-Fahrerin mit dem breitem Dialekt schreckt das nicht ab. Sie nimmt uns mit bis nach Godramstein. Immerhin weiter gekommen als bis Landau. Die Fahrerin hat nicht nur Mitleid mit uns, sondern auch mit Pirmasens. »Pirmasens hat die Globalisierung nicht verkraftet. Dabei war das einst so eine stolze Stadt. Wirklich schade.« Aber wir sollten uns keine Sorgen machen. Irgendein Pirmasenser werde uns schon noch mitnehmen. »Das sind nette Menschen.«
Wir wollen an ihn glauben, den netten Pirmasenser, der die Bundesstraße meidet und stattdessen über Godramstein nach Hause fährt. Der an einer verlassen Straße im nirgendwo zwei junge Männer stehen sieht und einfach mitnimmt. Als wir den Glauben, es noch zum Ziel zu schaffen, fast verloren haben, hält der nette Pirmasenser dann wirklich. Wir können es kaum fassen. Warum diese Route? »Ich wollte mal sehen, ob es diesen Gasthof hier noch gibt.« Wir standen zufällig genau davor.
Der Rest ist gleiten. Dann das Ortsschild. Große Augen, leiser Jubel. Pirmasens. Selten haben wir uns so gefreut, an einem Ort angekommen zu sein.