Ein Leben für ‚Die Klub‘
Mit dem Niedergang der Schuhindustrie ging es auch für den FK 03 Pirmasens bergab. Seine Anhänger klammern sich an die alten Zeiten

Werner Rob ruft die Vergangenheit an. „Hier ist Pirmasens. Es steht 1:0 für Wormatia Worms“, spricht er in den Telefonhörer. Die Vergangenheit sitzt in Offenbach. Hier wird Robs Anruf aufgenommen, verarbeitet und der Spielstand des Regionalligaspiels des FK Pirmasens gegen Wormatia Worms aktualisiert. Nicht fürs Internet, nicht für eine App. Für den Videotext.
Seit mehreren Jahren ist das Werner Robs Job an Spieltagen im Sportpark Husterhöhe. Jedes Spielereignis soll er einem Sportnachrichtendienst telefonisch mitteilen. Kurz zuvor hat er noch die Karten am Einlass abgerissen und jedem Zuschauer ein „guudes Spiel“ gewünscht. Rob hatte mit gut eintausend, mindestens aber 800 Zuschauer gerechnet. Es sind 683. Kurz vor dem Spiel wird die Vereinshymne des FKP gespielt:
„FKP, mir wolle Dore
hey FKP, auf gehts mit neiem Schwung
hey FKP, du kommsch in die Johre un bleibsch trotzdem ewisch jung.“
Werner Rob schrieb sie zusammen mit einem Freund anlässlich des einhundertsten Geburtstages im Jahr 2003. Doch die Fans bleiben stumm. Rob nimmt in einer Wellblechkabine des Stadions Platz. Tief sitzt seine schwarze, abgewetzte Kappe. Das aufgenähte FKP-Logo hat schon einmal bessere Zeiten gesehen. Genauso wie „Die Klub“, wie der Verein in Pirmasens nur genannt wird. Auf den Schultern des Vaters habe er sein erstes FKP-Spiel verfolgt, erzählt Rob. 1957 war das und er vier Jahre alt. Die großen Jahre hat Rob miterlebt: Meister der Oberliga, 2. Bundesliga, fast der Aufstieg in die Bundesliga, ein Freundschaftsspiel gegen Real Madrid.
„Die haben uns doch immer nur beschissen.“

Unweit von Robs Kabine sitzt Inge Lueben. Block C, Reihe 12, Platz 1. Ihr Stammplatz. Dick eingepackt ist sie in ihrem beigen Mantel. Vor kurzem hat sie ihren 88. Geburtstag gefeiert. Ständig kommen Zuschauer vorbei, um ihr nachträglich zu gratulieren. Seit 70 Jahren geht sie zu Spielen von „Die Klub“. Schon ihr Schwiegervater habe beim FKP gespielt, sagt sie. Vor dem Krieg war das. Auch Inge Lueben erzählt von den vergangenen Zeiten: von der Rivalität mit dem 1. FC Kaiserslautern – „Die haben uns doch immer nur beschissen.“ –, von Helmut Kapitulski und Heinz Kubsch, den Spielergrößen aus den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Inge Lueben reißt dann ihre Augen weit auf und hebt den Zeigefinger: „Früher war mehr Krach bei den Spielen, heute ist es viel ruhiger“, sagt sie.
Lueben hat ihr Arbeitsleben bei der Pirmasenser Post verbracht. Mit ihrer Familie wohnte sie direkt neben dem damaligen Stadion an der Zweibrücker Straße. Am Wochenende ging es mit ihrem Mann zu den Spielen, egal ob heim- oder auswärts. Mittlerweile ist der Platz neben ihr leer, ihr Mann vor ein paar Jahren gestorben. Auf der Gegentribüne verkauft ihre Tochter Bratwürste. „Ich hoffe mal, dass wir noch gewinnen.“
Doch damit dürfte es schwierig werden. Schon mit der ersten Chance in der 18. Minute erzielt Wormatia Worms das erste Tor. Drei Minuten später fällt per Handelfmeter das zweite.
Ab den Siebzigerjahren ging es bergab. Bis in die Landesliga

Auch Michael Schwarz hat vorhin an der Kasse geholfen. Jetzt steht er entspannt mit einem blauen Hoodie auf der Haupttribüne und verfolgt das Spielgeschehen. Schwarz ist so etwas wie der Chronist des FKP. Mit elf Jahren ist er zum Verein gekommen und begann schon bald, alte Vereinshefte zu sammeln. Von einem anderen Anhänger erhielt er Ergebnislisten aller Spiele des FKP. Wenn Schwarz redet, glaubt man fast, er hätte sie alle auswendig gelernt. Auch er spricht nur von diesen Fünfziger- und Sechzigerjahren, als alles besser war. Und es hätte noch besser kommen können. „Der FKP ist betrogen worden – und das mehrfach“, sagt Schwarz: Bei der Meisterschaft 1954, bei der Bundesligagründung 1963, beim Stadionneubau 2003.
Aber auch er gesteht ein, dass der eigentliche Niedergang andere Gründe hat: Als es mit der Schuhindustrie in den Siebzigerjahren bergab ging, litt auch der FKP darunter. Viele Schuhindustrielle finanzierten den Verein, und als die Schuhe die Stadt verließen, verließ „Die Klub“ auch der Erfolg. In den Neunzigerjahren ging es sogar runter bis in die Landesliga.
„Wir haben uns da aber herausgekämpft“, sagt Schwarz. Seit 2014 spielt der Verein wieder in der Regionalliga Südwest. Das letzte große Ereignis der jüngeren Vereinsgeschichte datiert aber aus dem Jahre 2006 – ein Sieg gegen Werder Bremen in der ersten DFB-Pokalrunde, im Elfmeterschießen. „Das war der absolute Höhepunkt, unvorstellbar.“
Im Sportpark Husterhöhe will niemand Stimmung machen. Selbst das Beklatschen von Eckbällen fällt den meisten schwer. Allein die Gäste haben Grund zur Freude: Nach 70 Minuten führen sie mit 3:0. „Die Pirmasenser kommen zum Fußball und schauen zu wie die Fachleute“, hat jemand Michael Schwarz einmal in den Siebzigern gesagt. Bis vor ein paar Jahren hat es noch einen Fanklub gegeben, doch die wenigen Engagierten haben Pirmasens mittlerweile wieder verlassen. Junge Fans gibt es fast nicht. Der Rest lebt von der Vergangenheit.
Sie ist in Gesprächen mit Zuschauern auf der Haupt- und Gegentribüne allgegenwärtig. Das Geld fehle und das trotz einiger regionaler Großsponsoren. Jürgen Kölsch, einer von vier Präsidenten des FKP, weiß um die schwierige Lage: „Wir haben eine der niedrigsten Etats der Regionalliga Südwest, da bleibt uns nichts anderes übrig als auf die Jugendarbeit zu setzen.“ Immerhin sei die erfolgreich.
Im Gegensatz zur ersten Mannschaft, die gegen den Abstieg spielt. Nach dem heutigen Spiel wird es enger denn je. Werner Rob greift zum Hörer: „Endstand in Pirmasens: 3:1 für Wormatia Worms.“