„Und jetzt auch noch die Flüchtlinge“
Für Pirmasens ist die Aufnahme von Asylsuchenden keine leichte Aufgabe. Doch gerade wegen der Strukturkrise ist die Stadt gut dafür gerüstet.
Manchmal verdunkelt sich die Aussicht im Café Lichtblick. Dann, wenn ein Langzeitarbeitsloser zu Manfred Vogel kommt und seinen Frust ablässt. Dass die Flüchtlinge mehr bekommen würden als er, heißt es dann. Als Gemeindepädagoge des Arbeitslosencafés hat Vogel ein Gespür für die Stimmung in der Stadt. Er rechnet den Aufgebrachten vor, dass die Flüchtlinge weniger Leistungen als Hartz-IV-Empfänger erhalten. Er muss ihnen aber auch sagen, dass er keine Arbeitsplätze herzaubern kann.
Denn seit es in der Schuhindustrie nur noch wenige Jobs für Ungelernte gibt, ist die Arbeitslosigkeit hoch. 13,2 Prozent ist bundesweit die fünfthöchste Quote. Bei der letzten Landtagswahl stimmten 15,4 Prozent der Pirmasenser für die AfD. Kann hier Integration gelingen?
„Es ist ein Riesenbrocken für die Stadt“, sagt Manfred Vogel. Doch die Flüchtlingsgegner seien in der Minderheit. Es habe eine große Welle der Hilfsbereitschaft gegeben. Nun herrsche eine pragmatischere Stimmung: Jetzt sind sie halt da, lasst uns das Beste daraus machen.
Peter Schwarz, Geschäftsführer des Pirmasenser Jobcenters, ist optimistischer. Er sieht den Zuzug von Flüchtlingen als Chance. Auch er sagt, dass die Rahmenbedingungen in der Stadt ungünstig seien. Gerade deswegen aber habe sich über die Jahre ein gut funktionierendes Sozialhilfenetzwerk entwickelt. Allen voran: Der Pakt für Pirmasens, wo das Engagement von ehren- und hauptamtlichen Helfern koordiniert wird. Dadurch habe man gut auf die Flüchtlinge reagieren können, sagt Schwarz. Zudem könne eine alternde Stadt wie Pirmasens von jungen, motivierten Neuankömmlingen nur profitieren.
Aus Lehrenden werden Lernende
Laut Jörg Altpeter sehen das auch die Betriebe so. Sie seien „super interessiert“, sagt er. 50 Flüchtlinge werden in den Sprachlernklassen an der Berufsbildenden Schule unterrichtet, die er leitet. Engagierte Lehrkräfte, die als Religionslehrer auch mal Mathe unterrichten, machen das möglich. Ihr Einsatz wird belohnt: Für viele Kollegen seien die Flüchtlingsklassen die motiviertesten, die sie je gehabt hätten, berichtet Altpeter. Die neu angekommenen Schüler seien so wissbegierig. „Die fragen und fragen und fragen.“

Vieles läuft gut in der BBS. „Doch die Personaldecke ist auf Kante genäht”, sagt Altpeter. Ausfälle kann die Schule kaum verkraften. Und auch wenn der Deutschunterricht bei fortgeschrittenen Schülern langsam abnimmt und die berufsbildenden Inhalte zunehmen, bleiben Schwierigkeiten. Einige der Schüler sind von ihrer Flucht traumatisiert. Das stellte die Lehrer vor Herausforderungen. Aber bisher, sagt Altpeter, hätten sie noch für jedes Problem eine Lösung gefunden.
Ein Landeskonzept für die schulische Integration von Flüchtlingen gibt es nicht. Die BBS musste improvisieren. Anfangs saßen alle neu angekommenen Schüler in einer Klasse – ein Hindernis für den Lernfortschritt. Denn die Schüler befinden sich auf unterschiedlichen Lernniveaus.
Nachdem sich gewisse Strukturen an der Schule etabliert haben, sind die Klassen nach Sprachkenntnissen gegliedert. So sprechen in der B1-Klasse alle ähnlich gut Deutsch. Und sie alle wollen in Pirmasens bleiben, wenn sie einen Job finden oder wenn sie nicht der Familie in eine andere Stadt folgen müssen.
Neuankömmlinge gestalten mit
Doch der Spracherwerb fällt nicht allen so leicht wie den Schülern an der BBS. „Die Frauen fallen hinten runter“, sagt Kerstin Fuhrmann, die Beschäftigungspilotin der Stadt. Sie kümmert sich darum, dass Flüchtlinge möglichst früh Arbeit finden. Viele geflüchtete Frauen würden keinen Deutschkurs machen, dieses Problem müsse die Stadt nun anpacken.
Es sind aber nicht nur die Syrer, Somalier und Afghanen, die dazulernen, auch Fuhrmann lernte eine Lektion. Sie sei überrascht gewesen, mit welchem Elan die Flüchtlinge teilweise zu ihr kämen. Einige Medienberichte hätten ihr zuvor ein anderes Bild vermittelt, sagt sie. Doch vielen könne es gar nicht schnell genug gehen mit der Jobvermittlung. In Zukunft wird dies Atef Habibs Aufgabe sein. Er übernimmt das Amt von Fuhrmann.
Dass die Integration in Pirmasens so gut gelingt, mag auch daran liegen, dass Menschen wie er in der Verwaltung arbeiten. Der gebürtige Ägypter kam selbst als Flüchtling nach Deutschland. Er weiß, wie es ist, wenn man sich in einem fremden Land zurechtfinden muss. Genauso wie Pouya Nemati, der mit seiner Familie aus dem Iran flüchtete und nun als Kulturpädagoge in der JugendKulturWerkstatt arbeitet.

Auch Nadia Krautwurst-Aouadi kam von weit her in die Pfalz, allerdings nicht als Flüchtling, sondern der Liebe wegen. Ihren deutschen Mann lernte sie kennen, als er durch Marokko reiste. Krautwurst-Aouadi arbeitet heute für die Bauhilfe der Stadt, tut aber im Alltag deutlich mehr, als in ihrer Jobbeschreibung steht. Sie übersetzt, begleitet, hört zu – und nebenbei vermittelt sie Wohnungen. In Pirmasens ist das dank des Leerstands leichter als anderswo. Statt in Gemeinschaftsunterkünften leben alle 393 Asylsuchenden und 343 anerkannten Flüchtlinge in Wohnungen.
Doch auch Krautwurst-Aouadi hat zu kämpfen: „Es gibt Leute, die wollen keine Syrer.“ Außerdem verlangten manche Vermieter horrende Summen. Die Kommune erstattet jedem anerkannten Flüchtling 179 Euro Kaltmiete. Das sei selbst in einer Stadt wie Pirmasens zu wenig.
Pirmasens als anziehende Stadt
Den Widrigkeiten zum Trotz hat sie für ein junges syrisches Paar gerade erst wieder eine Wohnung gefunden. Pirmasens ist ihnen nicht fremd. Sie haben bereits Freunde in der Stadt, die sie in einer Aufnahmeeinrichtung in Frankfurt-Hahn kennenlernten. Nun können sie alle wieder gemeinsam essen.
Ihr Handy schaltet Krautwurst-Aouadi (1. v. r. im Video) während des Essens aus. 13 neue Nachrichten hat sie in der letzten Stunde erhalten. Doch jetzt hat sie Pause. Zumindest für einen Moment. Sie gibt viel – und bekommt auch etwas zurück. Als ein syrischer Bekannter von Krautwurst-Aouadi hörte, dass die guten Schuhe ihres Mann kaputt seien, reparierte er sie kurzerhand. Willkommen in der Schuhstadt Pirmasens.
Shehab Attal ist 25 Jahre alt, Friseur aus Aleppo und seit 18 Monaten in Deutschland. Mit geschickten Handbewegungen schneidet er einem Kunden die Haare, fegt im nächsten Moment den Boden oder serviert den Kunden türkischen Tee. Bald nachdem er in Pirmasens angekommen war, bot ihm der Chef des Perisa Friseursalons einen Job an. Eine Wohnung fand er auch schnell.
Attal ist angekommen in Pirmasens. Ständig grüßt ihn jemand, wenn er durch die Fußgängerzone läuft. Obwohl er keinen Sprachkurs besucht hat, spricht er gut Deutsch. Attal ist für vieles dankbar. Trotzdem äußert er vorsichtig Kritik. Immer wieder hat er Probleme mit dem Jobcenter wegen seines Minijobs als Friseur. Attal versteht, dass er aufgrund seines Verdienstes weniger staatliche Unterstützung bekommt. Doch manchmal hat er das Gefühl, es würde ihm eher schwer gemacht als gewürdigt, wie schnell er einen Job gefunden und die neue Sprache gelernt hat.
Andere berichten von Problemen bei Behörden, weil nur Deutsch gesprochen wird. Peter Schwarz vom Jobcenter streitet das nicht ab: Ja, die Flüchtlinge müssten die Amtstermine auf Deutsch bewältigen, oder sich selbst Dolmetscher organisieren. Sie sollten nicht „betütert“ werden, sagt er. „Wir passen auf, dass Flüchtlinge genauso behandelt werden wie alle anderen.“
Trotzdem haben manche Pirmasenser das Gefühl, die Neuankömmlinge würden bevorzugt. „Ich bin keine Flüchtlingstante”, sagt Krautwurst-Aouadi dazu. Vor kurzem beklagte sich eine Frau bei ihr, nur Flüchtlinge würden Unterstützung bekommen. Krautwurst-Aouadi nahm sie mit zur Geschäftsstelle des Pakts für Pirmasens. Dort bekam sie so viel Kinderkleidung, wie sie brauchte.
„Und jetzt auch noch die Flüchtlinge”, wird in Manfred Vogels Sprechstunde für Langzeitarbeitslose geklagt, wenn sich wieder jemand benachteiligt fühlt. Aber Vogel ist hoffnungsvoll. „Die Bundeskanzlerin hat gesagt: ‚Wir schaffen das‘, und hier in Pirmasens ist es auch zu schaffen.”